Interesse - Beziehung zwischen Person und Gegenstand
Interessen können uns über lange Lebensphasen hinweg begleiten (z.B. als Hobby, als Spezialgebiet etc.). Das, wodurch wir uns zu dem Gegenstand des Interesses hingezogen fühlen, ist dann eher eine Eigenschaft der Person, die sich irgendwann einmal herausgebildet hat. Interesse kann aber auch situativ, durch ein besonderes, auffälliges oder herausforderndes Ereignis geweckt werden - und oft auch ebenso schnell wieder abflachen. Der Gegenstand besitzt dann eine besondere Interessantheit. In beiden Fällen messen wir dem Gegenstand eine besondere Bedeutung bei - und diese Bedeutsamkeit begünstigt Lernprozesse. Wir entwickeln Fragen an den Gegenstand, weil er "etwas mit uns zu tun hat".
Für den Sachunterricht spielen beide Aspekte eine Rolle: Vordergründig geht es zunächst um das Wecken des Interesses an dem aktuellen Unterrichtsgegenstand. Langfristig wird aber auch ein allgemeines Interesse an und eine aufgeschlossene Haltung gegenüber Naturwissenschaft und Technik angestrebt.
Lernen beginnt selten bei "Null"
Lernprozesse allgemein werden auf der Basis bestehender Erfahrungen und damit verknüpfter Deutungen vollzogen. Die Schülervorstellungen (oder auch Präkonzepte, Alltagsvorstellungen, Alltagstheorien, ...) bilden somit einen Schlüssel für erfolgreiches Lernen (vgl. Heran-Dörr 2011, S. 6). Laut Perspektivrahmen Sachunterricht (vgl. GDSU 2013, S. 25) sollte darüber hinaus die 'erkenntnisorientierte, aktiv-forschende Grundhaltung gegenüber der Welt (...) geprägt durch positive Gefühle und Einstellungen, durch den Willen, etwas Neues zu erfahren und durch die Bereitschaft, Dinge und Situationen als persönlich bedeutsam zu erachten und auf sie zuzugehen' in der Planung von Lernprozessen Berücksichtigung finden. Nach Weinert (2000, S. 5) braucht es zum Erwerb intelligenten Wissens einen systematischen Erwerb eine Unterrichtsmethode, die lehrergesteuert, aber schülerzentriert ist.
Wie "frag"-"würdig" ist der Einstieg?
Im Sachunterricht gibt es Unterrichtsthemen, bei denen relativ viele Schülervorstellungen vorhanden sind, z.B. beim Thema "Werbung". Die Kinder können Werbeslogans wiedergeben, Prominente nennen, die für ein Produkt werben und auch eigene Kaufentscheidungen begründen. Der Unterricht kann daher mit einem assoziativen Einstieg beginnen, z.B. Sammlung von Kinderfragen über ein Mindmap an der Tafel oder ein direktes Abfragen des Vorwissens.
Bei vielen anderen Themen ist das nicht der Fall. Wenige Kinder haben z.B. überhaupt schon einmal etwas von 'Bionik' gehört. Daher zielt der Einstieg darauf ab, die Kinder für die Sache zu interessieren, das Lerninteresse zu wecken und ihnen die Möglichkeit zu geben, eigene Fragen zu formulieren.
Wie kann die Beziehung zum Gegenstand unterstützt werden?
Interesse ist abhängig von der subjektiven Bedeutsamkeit des Gegenstands, die wir ihm zuschreiben. Diese hängt wiederum von dem Kontext ab, in dem wir den Gegenstand sehen. Ein Windrad kann bedeutsam sein, weil es technisch fasziniert, weil es auf umweltfreundliche Weise elektrische Energie erzeugt oder weil es das Landschaftsbild stört. Für Grundschulkinder bedeutsame Kontexte (z.B. Anwendbarkeit im Alltag, Wirkungen und Gefahren etc.) können eine Beziehung zum Gegenstand aufbauen und Interesse wecken.
Kinder entwickeln Beziehungen zu Gegenständen auch über tätige Formen der Auseinandersetzung. Attraktive Tätigkeiten können ebenfalls den Interessenaufbau unterstützen. Für viele Grundschulkinder sind handlungsintensive Tätigkeitsformen besonders attraktiv, für manche stellen aber auch rezeptive Formen (Lektüre, Bildbetrachtung, Videorezeption etc.) attraktive Tätigkeiten dar (Roßberger & Hartinger 2000) . Hier sind differenzierende Angebote sinnvoll.
Fragen und Interessen wachsen lassen
Kinderfragen und Lerninteresse entwickeln sich somit zunehmend im Laufe einer Unterrichtsreihe. Dabei spielt die Haltung und die Ermutigung des Lehrers eine zentrale Rolle (z.B. empathisches, geduldiges Verhalten bei der Formulierung eigener Fragen) und "offene Aufgabensituationen, in denen eigenständige Fragestellungen entwickelt werden (gegebenenfalls innerhalb eines thematischen Rahmens) und diesen dann nachgegangen wird" (GDSU 2013, S. 25).
Klassenunterricht und Interessendifferenzierung kombinieren
Im vorgeschlagenen Unterricht 'Bionik - Von der Natur abgeschaut' werden zwei Planungsstränge kombiniert:
Die Kinder werden zum einen dazu angeregt, Referate in Gruppen/ Partnerarbeit vorzubereiten und für ihre Mitschüler zu halten. Im Einstieg der Unterrichtsreihe regen Bildimpulse Diskussionen an. Ausgewählte, der Lesefertigkeit angemessene Kurztexte oder kindgerechte Videosequenzen im Internet zu bionischen Themen bieten Anlässe, Fragen zu formulieren und Lerninteressen zu entwickeln. Dabei ist die Auswahl geeigneter Medien entscheidend für positive Einstellung der Kinder bezüglich zu erwartender Lernzuwächse. Sie reflektieren implizite bei der Erarbeitung und später bei der Aufbereitung des Referats für die Klassenkameraden 3 Aspekte:
In der Vorbereitung aufs Referat unterstützt der Lehrer vor allem methodisch (Organisation im Sinne des Scaffolding, Hilfen bei der Bereitstellung von Informationen, Förderung der Gruppen- und Partnerarbeit).
Im zweiten Planungsstrang, parallel zu den Referatsvorbereitungen, werden inhaltlich und methodisch sequenzierte, strukturierte Unterrichtstunden vom Lehrer vorbereitet und durchgeführt (z.B.: 'Die Erfindung des Klettverschlusses' oder 'Wilhelm Barthlott und der Lotuseffekt'). Kinderfragen und Lerninteresse spielen in diesem Unterrichtsarrangement im Rahmen des Themas und der methodischen Vorgehensweise ebenso eine wichtige Rolle. Der Grad der Selbststeuerung von Seiten der Schüler in Fragen der Erschließung, Organisation und Präsentation ist allerdings deutlich niedriger als im Planungsstrang "Referate".