Lernprozesse, in denen Kinder ihre Präkonzepte verändern bzw. durch andere Konzepte ersetzen, werden als Konzeptwandel (conceptual change) bezeichnet.
Was sind Präkonzepte?
Naturwissenschaftliche Konzepte wie zum Beispiel das Teilchenkonzept der Chemie oder das Konzept der Anpassung an den Lebensraum in der Biologie werden entwickelt auf der Grundlage systematischer und methodisch abgesicherter Forschung, deren Ergebnisse mit vorhandenen Theorien abgeglichen werden, die ihrerseits zuvor auf gleiche Weise empirisch, also erfahrungsbasiert entstanden sind und solange als gültig angesehen werden, bis sie mit wissenschaftlich anerkannten Verfahren widerlegt sind.
Das Weltbild von Kindern entwickelt sich zwar auch empirisch, aber nicht systematisch, sondern episodisch: viele kleine Alltagserfahrung mit den Phänomenen ihrer Lebenswelt, die mehr oder weniger gut durchgedrungen und verstanden sind, werden mehr oder weniger stark miteinander verknüpft abgespeichert. Dabei bilden sich Erklärungsmuster und Deutungen heraus, die oft von den „erwachsenen“ Erklärungen oder wissenschaftlichen Konzepten deutlich abweichen. Diese kindlichen Muster, die als Präkonzepte bezeichnet werden, bilden sich unter anderem aus dem Abgleich neuer Erfahrungen mit bereits Bekanntem und Gewusstem, aus Erklärungen von Erwachsenen und anderen Kindern oder der der Projektion der eigenen Körpererfahrungen und Selbstwahrnehmung auf die Dinge der Außenwelt. Ein literarisches Beispiel ist die Darstellung des Breiessers, einer fiktiven Kinderzeichnung aus Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Maler Klecksel“.
Die Vorstellung, dass der Körper im Wesentlichen aus einem großen Hohlraum besteht, der durch den Mund mit Nahrung gefüllt wird, die ihn dann auf anderem Wege wieder verlässt, entspricht der alltäglichen Körpererfahrung von Kindern, zu der auch das Völlegefühl nach einer umfangreichen Mahlzeit gehört. Unterstützt wird dieses Konzept durch Redewendungen wie die von einem „vollen Bauch“.
Diese aus Erwachsenenperspektive oft skurrilen bzw. schlicht „falschen“ Deutungen sind aus Sicht der Kinder nicht weniger gültig als wissenschaftliche Erklärungen: im Gegenteil sind sie ihnen lieb und vertraut und haben sich im Alltag lange Zeit hindurch bewährt; sie sind durch andere Kinder und Erwachsene oder umgangssprachliche Redewendungen bestätigt oder zumindest nicht widersprochen worden; und sie haben den Kindern so Orientierung und Verhaltenssicherheit gegeben. Unter welchen Bedingungen Kinder bzw. Menschen überhaupt bereit sind, „falsche“ oder lückenhafte Konzepte aufzugeben zu vervollständigen oder durch wissenschaftlich „richtigere“ zu ersetzen, ist Gegenstand der lern- und kognitionspsychologischen Theorien zum Konzeptwandel (conceptual change). Deren Befunde spielen deshalb in der Sachunterrichtsdidaktik vor allem im naturwissenschaftlich-technischen Bereich eine wichtige Rolle.
Nicht jeder Lernprozess ist mit einem Konzeptwandel verbunden
Eines vorweg: nicht jeder Lernprozess bewirkt einen Konzeptwandel. Der Erwerb deklarativen Wissens (die Regierungsbezirke in NRW, die Teile eines verkehrssicheren Fahrrades) oder prozeduralen Wissens (einen Versuch planen und durchführen, im Internet gezielt Informationen suchen) verändert nicht zwangsläufig zentrale Vorstellungen über die Welt. Auch der Zuwachs an Können (die Handhabung einer Säge, eines Fieberthermometers, das Linksabbieger mit dem Fahrrad) ist nicht notwendig mit einem Konzeptwandel verbunden.
Konzeptwandel geschieht in der Regel auf der Ebene des Verstehens von Phänomenen, Vorgängen und Zusammenhängen. Es gibt verschiedene Annahmen über das Zustandekommen eines Konzeptwandels. Neuere Annahmen gehen davon aus, dass es sich nicht um einen rein kognitiven Prozess handelt, in dem lediglich ein älteres Konzept durch ein überzeugenderes ersetzt wird. Vielmehr spielen auch emotionale und volitionale Faktoren wie Dringlichkeit, Bedeutsamkeit, Interesse, Bereitschaft eine Rolle (s. Bedingungen für Konzeptwandel)
Bedingungen für einen Konzeptwandel
Weitgehende Übereinstimmung besteht in der Theorie in Bezug auf die folgenden Bedingungen für das Zustandekommen eines Konzeptwandels:
Unzufriedenheit mit dem bestehenden Konzept.
Sie entsteht z.B. dann, wenn ein Phänomen aus Sicht des Lernenden nicht hinreichend erklärt werden kann oder im Widerspruch zur bisherigen Erfahrung steht. Verunsicherung, Stutzen, Staunen sind die Folge - allerdings ist damit noch nicht sicher gestellt, dass der Lernende auch die Bereitschaft aufbringt, sein bestehendes Konzept zu verändern. Das Erzeugen einer solchen“kognitiven Dissonanz“ ist ein häufig empfohlener methodischer Weg für einen naturwissenschaftlich-technischen Sachunterricht nach dem Konzeptwandel-Ansatz.
Plausibilität des neuen Konzepts
Der angebotene oder von den Lernenden gefundene und vom Lehrenden bestärkte neue Erklärungsansatz muss unmittelbar einsichtig sein. Er darf nicht zu komplex sein, ein „Aha-Effekt“ sollte sich schnell einstellen.
Widerspruchsfreiheit des neuen Konzepts
Das neue Konzept muss in sich logisch und widerspruchsfrei sein. Es zu übernehmen kostet Anstrengung, und Lernende neigen dazu, neue Vorstellungen deshalb abzulehnen, sie zu testen, sie anzugreifen und zu widerlegen. Dabei können auch scheinbare logische oder empirische Schwachstellen (z.B. Messfehler in einem Versuch) überbewertet werden. Nachweisversuche müssen deshalb treffsicher (valide) und möglichst prägnant in ihren Ergebnissen sein.
Bewährung des neuen Konzepts
So wie sich das Präkonzept über einen langen Zeitraum als ausreichend und haltbar erwiesen hat, muss sich das neue Konzept zumindest in mehrfacher Anwendung überprüfen lassen und als immer wieder stimmig bewähren. Ohne dies verblasst es schnell wieder, der Lernprozess ist dann wenig nachhaltig. Im Unterricht ist es oft schwierig, eine hinreichende Anzahl von Versuchswiederholungen oder Transfersituationen anzubieten, zumal der Bedarf bei einzelnen Lernenden sehr unterschiedlich ist.
Konzeptwandel ist komplex und braucht Zeit
Häufig werden nicht gleich ganze Konzepte ausgewechselt, sondern das bestehende wird nur in Teilbereichen verändert, angereichert oder ausdifferenziert. Und je nach Kontext können durchaus auch unterschiedliche, konkurrierende Konzepte nebeneinander bestehen - in der Schule Erlerntes steht sehr oft unverbunden neben der Alltagserfahrung und gilt dann im Kontext Schule als richtig, während im Leben auf das bewährte Präkonzept zurückgegriffen wird.
"Um anomale Daten im Unterricht wirklich erfolgreich nutzen zu können, muss man nicht nur die Kinder verblüffen, man sollte auch wissen, wie der Unterricht weitergeführt werden muss, um eine Erweiterung oder ggf. Änderung des Konzepts der Kinder zu bewirken." (Kosack 2004)
Präkonzepte zu Wärmephänomenen bei Grundschulkindern
Welche Präkonzepte zu Wärmephänomenen sind bei Grundschulkindern verbreitet?
Die Alltagsvorstellungen der Kinder über Naturphänomene zur Grundlage des Unterrichts zu machen, ist ein Kernanliegen der Unterrichtsreihe, weil diese häufig stark von der zu lernenden naturwissenschaftlichen Sichtweise abweicht. Das gilt insbesondere auch für die Vorstellungen von Grundschulkindern zur „Wärme“, die umfassend in einer Studie erfasst worden sind. (Duit 1986, S. 30-33) Diese zeigte, dass insbesondere bei SuS unter 12 Jahren der Begriff „Wärme“ oft undifferenziert auch auf wärmende Dinge übertragen wurde.
Die Mütze "macht warm"
Das kommt z.B. zum Ausdruck in Vermutungen, dass ein in eine auf dem Tisch liegende Wollmütze gestecktes Thermometer ansteigen oder dass ein „warmer“ Mantel um einen Schneemann diesen zum Schmelzen bringen wird. Erstaunlicherweise werden auf dieser konkret-aktionalen Ebene diese Fehlvorstellungen auch von Kindern geäußert, die im Gespräch über Mützen im Winter angeben, dass „die Mütze den Kopf nicht aktiv erwärmt sondern nur „warm hält“. Das zeigt, dass Kinder im Grundschulalter (besonders in der Eingangsstufe) zwischen unterschiedlichen Vorstellungen und Erklärungsansätzen hin- und herspringen, weil diese noch nicht in ein in sich stimmiges Konzept integriert werden konnten.
Kälte bewirkt das Gegenteil von Wärme
Eine weitere hier relevante und verbreitete Alltagsvorstellung bezieht sich auf die Natur von „Wärme“ und „Kälte“. Kinder verstehen beide als getrennte, eigenständige Wirkkäfte. In dieser Hinsicht wird ein Konzeptwandel nur sehr langsam geschehen, weil er auf viele wiederholte Lernerfahrungen angewiesen ist, die das physikalische Wärmekonzept unterstützen. Die Beispielreihe kann hier nur einen Anstoß leisten.
Wärme kriecht durch Gegenstände
Zum Phänomen des Wärmeübergangs ist eine verbreitete Vorstellung, dass Wärme so etwas wie eine Substanz ist, die sich in den Gegenständen weiterbewegen oder auch durch den Raum wandern kann (wenn sich z.B. ein im Tee stehender Löffel am oberen Ende langsam erwärmt). Zum Wärmeausgleich bei unterschiedlich temperierten physikalischen Körpern (z.B. eine heiße Metallkugel, die Inhaltes Wasser gegeben wird) wird zwar angenommen, dass der kältere Körper (das Wasser) durch den heißeren erwärmt wird, aber nicht zwangsläufig auch, dass der heißere sich dabei abkühlt.
Konkrete Lernausgangslage der Klasse erfassen
In der Beispielreihe "Warm und kalt" werden zwei Methoden eingesetzt, die Aufschluss über die Alltagsvorstellungen der Kinder in der Klasse geben:
Zum Einstieg in die Reihe wird ein Concept Cartoon eingesetzt: die SuS tragen in Sprechblasen ihre Vorstellungen zu einer gezeichneten Situation ein, in der Kinder im Winter mit unterschiedlicher Bekleidung gezeigt werden.
Vor Beginn der Reihe und begleitend werden die SuS immer wieder aufgefordert, ihre Gedanken zum Unterricht für den Lernbriefkasten aufzuschreiben.