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Nachdenkgespräche - Philosophieren mit Kindern

Frühe Ansätze des „Philosophierens mit Kindern“ aus den 70er Jahren orientierten sich stark an Fragestellungen und Methoden der Philosophie, um diese als eigenen Lernbereich oder Kulturtechnik für den Elementar- und Primarbereich zu erschließen. Für den aktuellen Sachunterricht hat sich hingegen besonders das Konzept „Nachdenken mit Kindern“ von Helmut Schreier und Kerstin Michalik als tragfähig erwiesen. Hier wird das Philosophieren als ein Unterrichtsprinzip verstanden, das die scheinbare Eindeutigkeit und Faktizität naturwissenschaftlich-technischer Zugänge zur Wirklichkeit durch einen ergebnisoffenen, sinn-, zweck-, bedeutungslos- und wesensorientierten Zugang ergänzt.

Ausgangspunkt von Nachdenkgesprächen sind frag-würdige, rätselhafte oder staunenswerte Sachverhalte und kindliche Fragen, die sich dem Schema „richtig - falsch“ nicht unterordnen lassen. Damit eröffnen sich neue und andere Blickwinkel auf die Inhalte des Sachunterrichts, die es ermöglichen, die fachwissenschaftlichen Perspektiven miteinander in Bezug zu setzen und auch die Begrenztheit und Vorläufigkeit von Wissen zu reflektieren.

Nachdenkgespräche im Sachunterricht zielen nicht auf die Lösung eines Problems oder die „richtige“ Antwort auf eine Frage ab, sondern sind ergebnisoffen. Sie nutzen fachliches Wissen, sind aber nicht darauf beschränkt und beziehen die begründbaren Ansichten aller Beteiligten (auch der Lehrkraft) gleichermaßen und gleichberechtigt ein. Dennoch sind sie weit entfernt von einem unverbindlichen „mal-drüber-reden“: sie dienen der „Klärung und Begründung und Kritik kindlicher Meinungen und deren Voraussetzungen" (Jablonski 2007, S. 197) und führen zu einem „Zugewinn an vertieftem Verständnis in der Sache als auch ein Zugewinn an Gesprächskompetenz" (Michalik 2006, S. 7).

Dieser Anspruch wird sichergestellt durch eine Methodik der Gesprächskultur, die darauf angelegt ist,

  • sich eigene Vorstellungen und Auffassungen bewusst zu machen,
  • Wissen von Meinung und Deutung zu unterscheiden,
  • Meinungen argumentativ zu begründen • Gedanken und Meinungen anderer aufzugreifen, zu erwägen, zu reflektieren und weiterzudenken,
  • die Perspektive anderer probeweise einzunehmen und zu hinterfragen,
  • Begriffe gemeinsam zu klären,
  • Beispiele und Gegenbeispiele zu finden,
  • Antworten, Lösungsideen und Alternativen zu entwerfen
  • mögliche Konsequenzen zu bedenken,
  • Gedankenexperimente zu unternehmen („Was wäre wenn…“)
  • Gesprächsergebnisse festzuhalten,
  • Konsens und Dissens festzustellen.

(Nach Michalik 2006)  

In der Literatur lassen sich drei wesentliche Ansätze erkennen:

Philosophieren für Kinder

Dieser Ansatz stammt aus den 1970er-Jahren von Mathew Lipman und Ann Sharpe. Beide US-Amerikaner beschäftigten sich in ihren didaktisch-methodischen Literaturen zu unterschiedlichen Fragen des Philosophierens für Kinder.

Mit Kindern philosophieren

Diesen Ansatz entwickelte Gareth Matthews. Matthews war Professor für Philosophie – hat aber im Gegensatz zu Lipman und Sharpe keine „Unterrichtshandreichungen“ veröffentlicht. Allerdings haben seine Veröffentlichungen zum Philosophieren mit Kindern dazu beigetragen, das Thema weiterzutragen.

Nachdenken mit Kindern

Dieser Ansatz stammt von Helmut Schreier und Kerstin Michalik und ist, im Gegensatz zu den beiden oben genannten, die sich eng an der Fachdisziplin Philosophie ausrichten, konkret auf den Sachunter-richt bezogen. Es geht darum, eine Gesprächskultur anhand sachunterrichtlicher Inhalte zu etablieren, mit der die Bedeutung des Gesprächs für alle Unterrichtsteilnehmer im Sinne von Bildung deutlich wird.  

Was ist ein philosophisches Gespräch?

Für Michalik ist ein philosophisches Gespräch ergebnisoffen. Daher gibt es kein richtig oder falsch, aber auch keine sachlich-fachliche Klärung. Es ist ein „angeleitetes Gespräch zur Klärung und Begründung und Kritik kindlicher Meinungen“. Weitergefasst ist es, im Sinne des Ansatzes von Schreier und Michalik, ein Gespräch, bei dem ein „Zugewinn an vertieftem Verständnis in der Sache, als auch ein Zugewinn an Gesprächskompetenz" (Michalik 2006b, S.7) bewirkt wird.

Das bedeutet, dass alle Meinungen wertgeschätzt werden, dass im Unterrichtsgespräch eine Offenheit und Neugier herrscht, die man braucht, um einen Austausch von unterschiedlichen Meinungen und Begründungen zu zulassen. Darum sind philosophische Fragen auch von Wissensfragen abzugrenzen, denn diese werden mit dem Ziel der Klärung von Sachfragen gestellt.

Beim Philosophieren mit Kindern spielt die Haltung der Lehrer*in und der zuhörenden Kinder eine wichtige Rolle (Michalik 2017):

  • einfühlsames Hineinversetzen in andere Menschen oder Situationen

  • emotionale Selbstreflexion

  • kreatives und phantasievolles Spekulieren und Denken

  • logisches Denken

  • Verfremden

  • Kontext hinterfragen

  • …                                                          

Hier wird schon deutlich, dass Kommunikation, Emotion und Kognition Basiselemente des Philosophierens mit Kindern sind und als Potentiale gefördert werden können. „Bewertung und reine Wissensvermittlung rücken in den Hintergrund - Beachtung der Einzigartigkeit und Entfaltung der genannten Potentiale stehen dafür an erster Stelle beim Philosophieren mit Kindern. Die kindliche Neugier, der Wissensdurst und die Leidenschaft des Erkundens und Lernens gehen nicht im Laufe des Bildungsprozesses verloren, sondern werden gesehen, anerkannt und gefördert. Dies macht das Philosophieren mit Kindern (…) interessant, da hier diese Potentiale entdeckt und gefördert werden können. An Stelle der klassischen Bewertungs- und Benotungssysteme kann beim Philosophieren mit Kindern eine Talentförderung treten, die dem Kind die besonderen Interessensgebiete aufzeigen, benennen und bescheinigen kann.“