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Handlungsorientierung

Merkmale handlungsorientierten Unterrichts

Handlungsorientierter Unterricht in Idealform besitzt einige zentrale Merkmale:

  • Am Anfang steht eine problemhaltige Situation mit altersangemessen überschaubarer Komplexität, die für die Lernenden erkennbar bedeutsam ist.
  • Schüler und Lehrer vereinbaren ein Ziel, mit dem sie sich identifizieren können. Sie planen gemeinsam den Weg dorthin, führen den Plan durch, bewerten das erreichte Ergebnis und den Prozess, der dorthin geführt hat. Zwischendurch gibt es nach Bedarf Zwischenreflexionen und evtl. Planrevisionen.
  • Dieses Ergebnis, das Handlungsprodukt hat einen für Lehrer und Schüler erkennbaren "Gebrauchswert": man kann damit etwas anfangen, es den Eltern zeigen, es entsteht eine konkrete Veränderung, ein Gegenstand oder ein nutzbares, neues Wissen. Es geht nicht um die Vorbereitung der nächsten Klassenarbeit oder den Tauschwert von guten Zensuren!
  • Das Unterrichtsgeschehen ist dadurch bestimmt, dass das vereinbarte Ziel erreicht wird - was nicht dazu beiträgt, muss ggf. in einer anderen Unterrichtsreihe Platz finden!
  • Die pragmatische, emotionale und kognitive Dimension des Lernen werden als gleichermaßen wichtig angesehen ("Kopf - Herz - Hand"), ebenso die Ergebnis- und die Prozessqualität.

Nach Hilbert Meyer begegnen sich im Handlungsprodukt die Lehrziele der Lehrkraft und die Handlungsziele der Kinder. Das gelingt besonders gut, wenn der Unterricht von einer realistischen, lösbaren Problemsituation ausgeht.

Die Rolle der Lehrkraft verändert sich: statt Wissensvermittlung steht Lernberatung im Vordergrund - "From Sage on the Stage to Guide on the Side" (Alison King)

Unterricht orientiert sich am Handlungsprozess

Der Gang des Unterrichts orientiert sich an den typischen Phasen einer „vollständigen Handlung“:

  1. Antizipation (ein Ziel fassen, die Handlung entwerfen - geistige Probehandlung)
  2. Realisation (den Handlungsentwurf ausführen und ggf. anpassen)
  3. Handlungskontrolle (das Ergebnis mit dem Ziel vergleichen, bewerten und ggf. das Ziel und/oder den Handlungsentwurf korrigieren)

Im Unterricht werden in der Regel vier bzw. fünf Unterrichtsschritte unterschieden:

  1. Zieldefinition: ein Handlungsziel identifizieren, ein Handlungsprodukt vereinbaren, dafür erforderliche Informationen beschaffen, Anforderungen beschreiben
  2. Handlungsplanung: mögliche Lösungen recherchieren, sich für ein Vorgehen entscheiden und die Handlung planen, Material, Werkzeuge, Informationen organisieren
  3. Handlungsdurchführung: die notwendigen Schritte zur Erreichung des Ziels ausführen
  4. Handlungsbewertung: die Qualität des erstellten Handlungsprodukts mit den Anforderungen vergleichen und kritisch beurteilen, den Prozess reflektieren (Schwierigkeiten, neue Aspekte, Zusammenarbeit, etc.)
  5. Verinnerlichung: den Handlungsplan reflektieren, ggf. revidieren, dokumentieren und abspeichern  

Annäherungen an das Ideal handlungsorientierten Unterrichts

Handlungsorientierter Unterricht in Reinform ist nicht ganz leicht umzusetzen. Es ist aber möglich, sich schrittweise anzunähern und nach und nach die Handlungsspielräume der Kinder zu erweitern. Manfred Bönsch beschreibt dazu verschiedene Typen handlungsorientierten Unterrichts mit steigendem Anspruch: 

Planvoll handeln lernen

Durch bewusstes, planvolles Handeln in Problemsituationen entstehen bei den Handelnden Handlungspläne oder -schemata oder werden weiter entwickelt und ausdifferenziert. Sie werden als Ganzes abgespeichert und sind daher in sich invariant, können aber wie Drehbücher oder Skripte auf ähnlich gelagerte Probleme übertragen und angewendet werden.

Damit "entsteht ein strukturiertes, bewegliches und übertragbares Handlungswissen, das für weitere Ausformungen offen ist bzw. dessen Strukturen für operatives Wissen bereitstehen und Begriffsbildungen ermöglichen“. (Soostmeyer 2002)  

Es geht dabei um mehr als um das Erlernen bestimmter Methoden oder Verfahren (im Sinne verfahrensorientierter Sachunterrichtskonzeptionen). Vielmehr werden aus dem Handeln in sinnvollen Zusammenhängen flexible, übertragbare Muster gebildet, die für ähnliche Situationen wieder abgerufen werden können - ein zentrales Merkmal von Kompetenz!

Handlungsorientierung in der Beispielreihe "Serienfertigung im Fahrzeugbau"

In der vorliegenden Beispielreihe wird Handlungsorientierung nicht in Idealform umgesetzt, denn das Thema wird stellvertretend für die Klasse durch die Lehrkraft fixiert. Es gibt keinen realen, problemhaltigen Situationsbezug. Der Vorschlag, Modellautos selbst zu bauen, besitzt natürlich einen hohen Motivationswert, ebenso wie die Anregung, die komplexe Wirklichkeit der Fließbandproduktion, die die Kinder im Film erleben, im Spiel nachzustellen. Wenn sich die SuS mit dieser Spielidee identifiziert haben, entsteht aber erst die problemhaltige Ausgangssituation, die den Handlungs- und Lernprozess auslöst und steuert.

Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung und Ausdifferenzierung von Handlungsplänen. In einem ersten Schritt bauen die SuS ein Automodell nach und entwickeln dazu eine individuelle Vorgehensweise, die sie im Austausch miteinander reflektieren. Darauf aufbauend entwickeln sie gemeinsam mit dem Organisationsmodell einen komplexen, arbeitsteiligen Handlungsplan für die Serienproduktion der Automodelle und differenzieren ihre individuellen Ansätze dabei aus. In der Reflexion der Durchführung wird diese arbeitsteilige Handlungsstruktur transferierbar verinnerlicht.

Mit der Spielzeugautofabrik im Klassenzimmer entsteht dabei eine Modellwirklichkeit, die den Kindern eine große reflektierende Distanz zu Zielsetzung, Handlungsplanung, -durchführung und -bewertung ermöglicht.