Handlungsorientierter Unterricht in Idealform besitzt einige zentrale Merkmale:
Am Anfang steht eine problemhaltige Situation mit altersangemessen überschaubarer Komplexität, die für die Lernenden erkennbar bedeutsam ist.
Schüler und Lehrer vereinbaren ein Ziel, mit dem sie sich identifizieren können. Sie planen gemeinsam den Weg dorthin, führen den Plan durch, bewerten das erreichte Ergebnis und den Prozess, der dorthin geführt hat. Zwischendurch gibt es nach Bedarf Zwischenreflexionen und evtl. Planrevisionen.
Dieses Ergebnis, das Handlungsprodukt hat einen für Lehrer und Schüler erkennbaren "Gebrauchswert": man kann damit etwas anfangen, es den Eltern zeigen, es entsteht eine konkrete Veränderung, ein Gegenstand oder ein nutzbares, neues Wissen. Es geht nicht um die Vorbereitung der nächsten Klassenarbeit oder den Tauschwert von guten Zensuren!
Das Unterrichtsgeschehen ist dadurch bestimmt, dass das vereinbarte Ziel erreicht wird - was nicht dazu beiträgt, muss ggf. in einer anderen Unterrichtsreihe Platz finden!
Die pragmatische, emotionale und kognitive Dimension des Lernen werden als gleichermaßen wichtig angesehen ("Kopf - Herz - Hand"), ebenso die Ergebnis- und die Prozessqualität.
Nach Hilbert Meyer begegnen sich im Handlungsprodukt die Lehrziele der Lehrkraft und die Handlungsziele der Kinder. Das gelingt besonders gut, wenn der Unterricht von einer realistischen, lösbaren Problemsituation ausgeht.
Die Rolle der Lehrkraft verändert sich: statt Wissensvermittlung steht Lernberatung im Vordergrund - "From Sage on the Stage to Guide on the Side" (Alison King)
Wie funktioniert Lernen durch Handeln?
Handlungsorientierter Unterricht geht von der lerntheoretischen Grundannahme aus, dass der Mensch lernt, indem er gestaltend auf seine Umwelt einwirkt und dabei von ihr geprägt wird. Zum einen erfährt er Selbstwirksamkeit: er erfährt, was er an Veränderung bewirken kann; zum anderen macht er Sacherfahrungen über Funktionsprinzipien- und Wirkungszusammenhänge: Durch Erfolge und Fehler erfährt er eine Bestätigung seiner Vorstellungen über die Welt oder er ist gezwungen, sie zu revidieren oder zu erweitern (Assimilation und Akkommodation im Piaget’schen Sinne). (siehe Konzeptwandel)
Der Lernerfolg wird dadurch unterstützt, dass Lernen in für die SuS sinnhaften Zusammenhängen geschieht: es entstehen Produkte mit konkretem Gebrauchswert, Neugier und Spontaneität sind erwünscht und Kompetenzerfahrungen werden ermöglicht. Subjektiv bedeutsames Handeln verstärkt die Motivation und Emotionalität im Lernprozess. Emotional wichtige Informationen werden besser behalten.
Das Konzept der Handlungsorientierung fußt auf verschiedenen lern- und kognistionspsychologischen Ansätzen, u.a.
der Handlungstheorie (Aebli)
der Handlungsregulationstheorie (Hacker, Volpert)
der Aneignungstheorie bzw. Tätigkeitstheorie (Vygotsky, Galperin, Leontjew)
dem Regelkreismodell der Handlung (Miller, Galanter, Pribram)
Unterricht orientiert sich am Handlungsprozess
Der Gang des Unterrichts orientiert sich an den typischen Phasen einer „vollständigen Handlung“:
Antizipation (ein Ziel fassen, die Handlung entwerfen - geistige Probehandlung)
Realisation (den Handlungsentwurf ausführen und ggf. anpassen)
Handlungskontrolle (das Ergebnis mit dem Ziel vergleichen, bewerten und ggf. das Ziel und/oder den Handlungsentwurf korrigieren)
Im Unterricht werden in der Regel vier bzw. fünf Unterrichtsschritte unterschieden:
Zieldefinition: ein Handlungsziel identifizieren, ein Handlungsprodukt vereinbaren, dafür erforderliche Informationen beschaffen, Anforderungen beschreiben
Handlungsplanung: mögliche Lösungen recherchieren, sich für ein Vorgehen entscheiden und die Handlung planen, Material, Werkzeuge, Informationen organisieren
Handlungsdurchführung: die notwendigen Schritte zur Erreichung des Ziels ausführen
Handlungsbewertung: die Qualität des erstellten Handlungsprodukts mit den Anforderungen vergleichen und kritisch beurteilen, den Prozess reflektieren (Schwierigkeiten, neue Aspekte, Zusammenarbeit, etc.)
Verinnerlichung: den Handlungsplan reflektieren, ggf. revidieren, dokumentieren und abspeichern
Annäherungen an das Ideal handlungsorientierten Unterrichts
Handlungsorientierter Unterricht in Reinform ist nicht ganz leicht umzusetzen. Es ist aber möglich, sich schrittweise anzunähern und nach und nach die Handlungsspielräume der Kinder zu erweitern. Manfred Bönsch beschreibt dazu verschiedene Typen handlungsorientierten Unterrichts mit steigendem Anspruch:
Typen handlungsorientierten Unterrichts
Manfred Bönsch unterscheidet verschiedene Typen handlungsorientierten Unterrichts, die die Handlungsspielräume der Lernenden zunehmend ausweiten und sich so der Idealform des Projekts annähern:
„Begleitende Aktivitäten“: z.B. Malen, Bauen, Zeichnen, Lieder...
„praktisches Tun nach Plan und Anweisung“: z.B. Backrezepte für den Klassennachmittags sammeln und nutzen, Drachenbau, Futterhaus...
„Handlungsorientierter Unterricht als Rahmen für entdeckendes und forschendes Lernen“: z.B. „Wer baut den höchsten Turm?“, Experimente mit Magneten etc.
„Handlungsorientiertes Lernen als Basis / Vehikel für kognitives Lernen“: z.B. den Schulhof vermessen, um damit mathematische Operationen zu behandeln“
„Handlungen als sinnbestimmtes selbstgeplantes und –realisiertes Tun“: z.B. Projekte wie Schulhofgestaltung, Teichanlage, Leseeckeneinrichtung, Klassenfahrtsplanung
Ideal und Stolpersteine
Da Unterricht in der Regel unter Zeitdruck geschieht, ist es für Lehrkräfte oft schwer, fehlerbehaftete Lösungsansätze oder Irrwege in der Durchführung auszuhalten und die SuS begleitend zu unterstützen, ohne vorschnelle Vorgaben zu machen. Vor allem bei der Zieldefinition und der Handlungsplanung ist Zurückhaltung wichtig: es geht nicht um eine Didaktik der Vermittlung, sondern um eine Didaktik des Planens. Nur so, auf dem Wege eigener Erfahrung, ist aber eine Ausdifferenzierung der Handlungspläne möglich. Auch für die Kinder gilt es Misserfolge auszuhalten und das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Besonders kritische Stellen macht die folgende Tabelle deutlich:
Unterrichtsphase
kritische Stellen
1. Zieldefinition
Können sich alle SuS mit einem gemeinsamen Ziel identifizieren? Legt die Lehrkraft das Thema fest?
2. Handlungsplanung
Besitzen die SuS die erforderlichen Fertigkeiten, sind evtl. Zwischenlehrgänge erforderlich? Kann die Lehrkraft trotz Zeitdrucks "Abkürzungen" durch unnötige Vorgaben vermeiden?
3. Handlungsdurchführung
Probleme in der Zusammenarbeit können den Erfolg gefährden. Hält die Lerngruppe Schwierigkeiten im Prozess aus?
4. Handlungsbewertung
Sind die SuS in der Lage, ihr Produkt und den Prozess angemessen und sachlich darzustellen und zu bewerten? Entsteht "Frust"? Wie wird damit umgegangen?
5. Verinnerlichung
Ist mit dem Handlungsprodukt auch schon das Ende des Spannungsbogens erreicht oder ist eine Verinnerlichung des Handlungsplans und ggf. ein Transfer möglich?
Planvoll handeln lernen
Durch bewusstes, planvolles Handeln in Problemsituationen entstehen bei den Handelnden Handlungspläne oder -schemata oder werden weiter entwickelt und ausdifferenziert. Sie werden als Ganzes abgespeichert und sind daher in sich invariant, können aber wie Drehbücher oder Skripte auf ähnlich gelagerte Probleme übertragen und angewendet werden.
Damit "entsteht ein strukturiertes, bewegliches und übertragbares Handlungswissen, das für weitere Ausformungen offen ist bzw. dessen Strukturen für operatives Wissen bereitstehen und Begriffsbildungen ermöglichen“. (Soostmeyer 2002)
Es geht dabei um mehr als um das Erlernen bestimmter Methoden oder Verfahren (im Sinne verfahrensorientierter Sachunterrichtskonzeptionen). Vielmehr werden aus dem Handeln in sinnvollen Zusammenhängen flexible, übertragbare Muster gebildet, die für ähnliche Situationen wieder abgerufen werden können - ein zentrales Merkmal von Kompetenz!
Handlungspläne
Handlungspläne im naturwissenschaftlich-technischen Bereich des Sachunterrichts können nach Soostmeyer beispielsweise sein:
Stutzen, Staunen, Beobachten -> Fragenstellen -> Vermutungen begründet äußern -> Versuche planen (Versuchsergebnisse antizipieren, Material, Durchführung und Variation vorsehen) -> Versuche durchführen -> Ergebnisse kritisch mit den Vermutungen vergleichen -> Bewerten und in größere Zusammenhänge bringen
Zweifel an der Richtigkeit einer Behauptung -> Suche nach Beweisen oder Gegenbeweisen -> Fakten sammeln -> sinnvolle Zusammenhänge suchen -> Methoden kritisieren
Verhalten von Tieren und Pflanzen beobachten -> Lebensräume (Ernährungs-, Fortpflanzungs- und Brutverhalten) untersuchen -> Bedingungen für Wachstum untersuchen -> Bedingungen für artgerechte Haltung, Hege und Pflege herausfinden -> verantwortungsvoll mit den Lebewesen umgehen
Gestaltungsideen artikulieren, konstruktiv weiterentwickeln -> Werkzeuge und Materialien zusammenstellen -> Arbeits- und Fertigungsschritte abstimmen -> Gestaltungsideen in die Wirklichkeit umsetzen -> Ergebnis überprüfen und erproben
Geräte und Materialien gebrauchen -> Funktionen und Zwecke beobachten -> nach Wirkungszusammenhängen suchen -> vergleichbare Anwendungen finden -> Zweck-Mittel-Relationen untersuchen