Sprachsensible Unterrichtsgestaltung
Die Diskussion um die Verbesserung von Bildungschancen sowohl für Kinder mit Migrationshintergrund als auch für Kinder aus bildungsfernen Millieus setzt in vielerlei Hinsicht eine neue Betrachtung und Planung von Unterricht voraus. Neben Inhalt und Methode muss die Sprachebene des Unterrichts als ein wichtiger Baustein in der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden.
Von der Alltagssprache zur Bildungssprache
Die Alltagssprache der Kinder bezeichnet den Sprachgebrauch im sozialen Umfeld. Nach Cummins (2001) werden die im informellen Kontext verwendeten Sprachfertigkeiten als »BICS« (Basic Interpersonal Communication Skills) bezeichnet und erfordern keine höheren kognitiven Leistungen. Zu Hause und im Freizeitbereich werden die BICS in kürzester Zeit erlernt. Wortschatz und Grammatik werden dabei größtenteils ungesteuert erworben.
Die Bildungssprache wird bei Cummins (ebd.) als »CALP« (Cognitive Academic Language Proficiency) bezeichnet und ist nicht auf alltäglichen Sprachgebrauch, sondern auf komplexe, formale Sprachsituationen ausgelegt.
Verwendung unterschiedlicher sprachlicher Register von der Alltags- zur Bildungssprache:
A | Säge |
B | Wir haben mit der Feinsäge gearbeitet. |
C | Das Arbeiten mit der Feinsäge hat nicht so gut geklappt, weil ... (zu stark gedrückt/zu wenig gedrückt) |
D | Für das Arbeiten mit Werkzeugen braucht man Geduld und Übung. Wenn man mit der Feinsäge arbeitet, sollte man nicht zu viel Druck ausüben. In Partnerarbeit können wir uns auch gegenseitig unterstützen. |
An diesem Beispiel wird deutlich, dass formalsprachliche Kenntnisse für die Bewältigung und Reflexion neuer Anforderungen von großer Bedeutung sind. Alltagssprachliche Formulierungen reichen hier in der Regel nicht aus. Die Kinder brauchen sprachliche Hilfestellungen über Wortmaterialien (Lexik) und Mitteilungsbereiche (Operatoren), wie etwa vorgegebene Satzstrukturen (s. Planungsraster zum sprachlichen Input "Holz und Werkzeuge").
"Jede Sachunterrichtsstunde ist auch eine Sprachstunde."
Pauline Gibbons (2006) empfiehlt den Unterricht nicht didaktisch-'künstlich' zu vereinfachen, sondern eine Heranführung an komplexere Sprachformen, die für den Unterricht notwendig sind. Dabei sollten die Schülerinnen und Schüler selbst bewusst sprachlich agieren.
Prinzipien im sprachsensiblen Fachunterricht
Nach Josef Leisen (vgl. www.sprachsensiblerfachunterricht.de) sollten bei der Umsetzung im Fachunterricht drei wichtige Prinzipien beachtet werden:
- Die Aufgabestellungen wechseln die Darstellungsebenen und Darstellungsformen (Wechsel der Darstellungsformen).
- Die Sprachanforderungen liegen knapp über dem individuellen Sprachvermögen (kalkulierte sprachliche Herausforderung).
- Die Lerner erhalten so viele Sprachhilfen, wie sie zum erfolgreichen Bewältigen der Sprachsituation benötigen (Methoden - Werkzeug).
Scaffolding
Diese sprachlichen Hilfestellungen werden in der Fachliteratur als "Scaffolds" (engl. Gerüst, vgl. Quehl & Trapp 2013, S. 26ff) bezeichnet. Dabei werden sprachliche Unterstützungen durch die Lehrkraft so lange zur Verfügung gestellt, so wie es für die Kinder nötig ist. Dieser Prozess wird in der Regel nicht mit dem Abschluss der Unterrichtsreihe beendet sein, sondern erfordert einen deutlich längeren Zeitraum. Die Bildungssprache stellt für den Unterricht somit eine Herausforderung dar, da Begriffe aus zusammengesetzten Nomen wie »die Feinsäge«, »das Schleifpapier«, »die Schraubzwinge«, sowie Verben und Satzfragmente »bohren« oder »mit dem Hammer einen Nagel einschlagen« verstanden werden müssen, die in der Alltagssprache nicht oder sogar in anderen Zusammenhängen verwandt werden. Das Vokabular muss somit erlernt werden und damit in die Unterrichtsplanung einbezogen werden (vgl. Weis2013). Der Sachunterricht bietet dafür gute Voraussetzungen.
Mögliche Scaffolds:
- Erstellung eines Plakates als Wortspeicher, in dem wichtige Wörter, Komposita gesammelt werden
- Verschriftlichung von Satzanfängen, die den Kindern visuell im Kreisgespräch vorliegen, z.B.:
- Das Sägen hat gut geklappt, weil... (Unterstützung/ Partnerarbeit)
- Das Sägen hat nicht so gut geklappt, weil... (zu stark gedrückt/ zu wenig gedrückt)
- Das Einschlagen der Nägel hat gut/ nicht so gut geklappt, weil...
- Gesprächsphasen unter Beachtung der Prinzipien nach Leisen
- Gesprächsleitung durch die Lehrkraft:
- Sprechen über das Sprechen (making the new register explicit)
- Umformulierung durch die Lehrkraft (recasting)
- Ermutigung zu längerem und/ oder fachlichen Äußerungen (reminding and hanging over)